Contents
- 1 Wie Angehörige von depressiven Menschen unterstützen können: Ein Leitfaden von Dr. Karl Theuner
- 2 Handlungsplan: Wie Sie einen depressiven Angehörigen in den ersten 4 Wochen unterstützen können
- 2.1 Woche 1: Erste Schritte und professionelle Hilfe einleiten
- 2.2 Woche 2: Empathisch begleiten, ohne zu überfordern
- 2.3 Woche 3: Achtsam bleiben und den Alltag stabilisieren
- 2.4 Woche 4: Selbstfürsorge nicht vergessen und langfristige Unterstützung planen
- 2.5 Außergewöhnlicher Tipp: Das „Gefühlstagebuch“
Wie Angehörige von depressiven Menschen unterstützen können: Ein Leitfaden von Dr. Karl Theuner
Depressionen sind eine weit verbreitete psychische Erkrankung, die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Angehörigen stark belasten kann. Als Psychiater habe ich über die Jahre viele Patienten und ihre Familien betreut, die mit den Herausforderungen dieser Erkrankung kämpfen. Eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt wird, ist: „Wie kann ich als Angehöriger wirklich helfen?“ Die Antwort darauf ist oft komplexer, als man zunächst vermuten mag.
Professionelle Hilfe: Ein erster, entscheidender Schritt
Wenn Sie bemerken, dass ein Ihnen nahestehender Mensch an Depressionen leidet, sollten Sie zunächst sicherstellen, dass er oder sie professionelle Hilfe in Anspruch nimmt. Dies ist oftmals leichter gesagt als getan, denn der Schritt, sich Hilfe zu suchen, kann für depressive Menschen eine enorme Hürde darstellen. Hier können Sie konkret unterstützen: Bieten Sie an, gemeinsam Adressen von Therapeuten zu recherchieren, Termine zu vereinbaren oder die betroffene Person sogar zu den ersten Sitzungen zu begleiten. Dieser Beistand kann den Einstieg in die Behandlung erheblich erleichtern.
Ein besonders wichtiger Punkt ist es, auf Anzeichen einer möglichen Suizidgefahr zu achten. Verzweifelte Aussagen wie „Das alles hat keinen Sinn mehr“ dürfen nicht ignoriert werden. Wenn Sie den Verdacht haben, dass der erkrankte Mensch ernsthaft gefährdet ist, zögern Sie nicht, sofort professionelle Hilfe – etwa durch den Krisendienst – zu rufen.
Was Sie im Alltag tun können – und was nicht
Es ist völlig verständlich, dass Sie den Wunsch haben, stets für den betroffenen Menschen da zu sein. Doch Überfürsorge kann schnell zu zusätzlichem Druck führen. Ein einfaches „Wie geht es dir heute?“ kann viel bewirken, solange es nicht zur ständigen Wiederholung wird. Depressive Menschen sind oft nicht in der Lage, ihre Gefühle klar zu beschreiben, und wiederholtes Nachfragen kann bei ihnen Hilflosigkeit und Schuldgefühle auslösen.
Auch gut gemeinte Ratschläge wie „Reiß dich zusammen“ oder „Anderen geht es doch viel schlechter“ sind nicht nur unangebracht, sie können das Leiden des Betroffenen sogar verschlimmern. Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, und sie erfordert einfühlsame Begleitung, kein Drängen auf vermeintlich einfache Lösungen.
Die Bedeutung der Selbstfürsorge für Angehörige
Ein oft vernachlässigter Aspekt im Umgang mit depressiven Menschen ist die Selbstfürsorge der Angehörigen. Sie können nur dann eine Stütze für andere sein, wenn Sie selbst gut für sich sorgen. Nehmen Sie sich daher regelmäßig Zeit für sich selbst, um neue Kraft zu schöpfen. Ob durch ein Hobby, Bewegung an der frischen Luft oder Gespräche mit Freunden – wichtig ist, dass Sie Ihre eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren. Denn nur so können Sie langfristig für den erkrankten Menschen da sein, ohne selbst an die Grenzen Ihrer Belastbarkeit zu stoßen.
Handlungsplan: Wie Sie einen depressiven Angehörigen in den ersten 4 Wochen unterstützen können
Verfasst von Dr. Karl Theuner, Facharzt für Psychiatrie
Woche 1: Erste Schritte und professionelle Hilfe einleiten
Was tun:
– Beobachten Sie die Anzeichen: Rückzug, Hoffnungslosigkeit und Desinteresse können erste Hinweise auf eine Depression sein.
– Sprechen Sie das Thema sensibel an: „Ich habe bemerkt, dass du oft sehr traurig bist und mache mir Sorgen.“
– Ermutigen Sie zur professionellen Hilfe: Helfen Sie bei der Recherche und Begleitung zu ersten Terminen.
– Was sagen: „Du musst das nicht alleine durchstehen. Ich bin hier, um dir zu helfen.“
Was nicht tun:
– Nicht zu viel erwarten: Eine Depression braucht Zeit.
– Nicht drängen oder fordern: „Warum bist du immer so negativ?“ verschlimmert das Gefühl von Schuld.
Woche 2: Empathisch begleiten, ohne zu überfordern
Was tun:
– Alltagsunterstützung anbieten: Kleine, konkrete Hilfen wie Kochen oder Aufräumen sind hilfreich.
– Emotionale Sicherheit bieten: Lassen Sie die betroffene Person wissen, dass es okay ist, sich schlecht zu fühlen.
– Was sagen: „Ich bin da, wenn du bereit bist zu reden.“
Was nicht tun:
– Nicht ständig nach dem Befinden fragen: Einmal pro Tag nachfragen reicht, ständiges Nachfragen kann Druck ausüben.
– Keine übermäßigen Ratschläge: „Reiß dich zusammen“ oder „Denk positiv“ sind kontraproduktiv.
Woche 3: Achtsam bleiben und den Alltag stabilisieren
Was tun:
– Routine fördern: Helfen Sie, kleine Aktivitäten wie Spaziergänge oder Telefonate in den Alltag zu integrieren.
– Was sagen: „Lass uns einen kurzen Spaziergang machen, das muss nicht lange dauern.“
Was nicht tun:
– Nicht verharmlosen: „Es ist doch gar nicht so schlimm“ verkennt die Ernsthaftigkeit der Krankheit.
– Nicht die Krankheit auf sich beziehen: „Du bist schlecht drauf wegen mir“ verstärkt Schuldgefühle.
Woche 4: Selbstfürsorge nicht vergessen und langfristige Unterstützung planen
Was tun:
– Eigene Grenzen erkennen: Reflektieren Sie Ihre Belastbarkeit und holen Sie sich selbst Unterstützung, wenn nötig.
– Langfristige Unterstützungsnetzwerke aufbauen: Ermutigen Sie den Betroffenen, auch mit anderen Vertrauenspersonen zu sprechen.
– Was sagen: „Vielleicht möchtest du auch mit XY sprechen, um dich unterstützt zu fühlen.“
Was nicht tun:
– Nicht ausbrennen: Ihre eigenen emotionalen Ressourcen sind wichtig, um langfristig helfen zu können.
Außergewöhnlicher Tipp: Das „Gefühlstagebuch“
Ein Ansatz, der selten erwähnt wird, aber hilfreich sein kann, ist das Führen eines „Gefühlstagebuchs“. Sowohl der Betroffene als auch Sie als Angehöriger können darin täglich in kurzen Stichpunkten Ihre Emotionen festhalten. Dies hilft, Muster zu erkennen und erleichtert den Austausch über Gefühle – besonders bei Therapiebesuchen.
Für den Betroffenen: Kurze Notizen zu den täglichen Gefühlen helfen, den eigenen Zustand besser zu reflektieren.
Für den Angehörigen: Ein Tagebuch ermöglicht es, die eigenen Emotionen zu verstehen und Ihre Belastbarkeit im Blick zu behalten.


